
Unsere queerpolitischen Forderungen
Es gibt noch viel zu tun…
Trotz vieler Verbesserungen in der rechtlichen Lage, werden queere Menschen noch immer rechtlich und in ihrer Teilhabe benachteiligt. Und auch wenn wir Rechte zugesprochen bekommen, was eigentlich bisher fast immer hieß, dass wir sie per Bundesverfassungsgericht einklagen mussten, so zeigen die steigenden Zahlen der Hasskriminalität, dass Gesetze alleine noch keinen Schutz vor Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt sichern. Wir brauchen einen Wandel der Gesellschaft an sich. Vielfalt ist kein „nice2have“. Vielfalt ist Fakt. Und nur wenn wir an den Punkt gelangen, wo die Vielfalt von sexueller Orientierung, Geschlecht, Identität, gelesener Migrantisierung, körperlicher und psychischer Verfasstheit, Alter, sozialer/ökonomischer Herkunft, Weltanschauung und den vielen weiteren Ebenen der Unterschiedlichkeit nicht nur akzeptiert, sondern respektiert und als Grundwert einer demokratischen Gesellschaft anerkannt und gelebt werden, haben wir eine Chance auf eine freiheitliche, sichere und lebenswerte Gesellschaft für alle. Ein langer Weg – aber wir müssen anfangen und das Erreichte gegen den wachsenden Rechtsextremismus verteidigen.
Wir fordern…
1. Ergänzung des Grundgesetzes
Wir fordern die Ergänzung des Artikels 3, Satz 3 des Grundgesetzes, um die Merkmale „sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität“.
2. Rechtsextremismus bekämpfen
Wir fordern die Bundesregierung auf, den Kampf gegen Rechtsextremismus zu ihrer zentralen politischen Aufgabe zu machen.
Dazu gehört die Stärkung der Zivilgesellschaft, die konsequente Verfolgung von Hasskriminalität, die Ahndung sozialer Medien bei Untätigkeit gegen Hetze und Desinformation vorzugehen, das Verbot rechtsextremistischer Parteien, das Ausheben rechtsextremer Netzwerke, ein entschlossenes Vorgehen gegen Demokratiefeind*innen im öffentlichen Dienst sowie den Ausbau von Präventions- und Exitprogrammen.
3. Selbstbestimmungsgesetz
Wir fordern die Streichung der dreimonatigen Sperrfrist zwischen Antragsstellung und Wirksamkeit. Wir fordern ebenso, dass Menschen in Betreuung den Antrag selbst stellen können.
Wir fordern, dass auch nicht-binäre Personen die Möglichkeit haben sollen, in Reisedokumenten (Reisepass) den Eintrag „männlich“ oder „weiblich“ zu wählen.
Des Weiteren fordern wir die Streichung des §9 SBGG (Verteidigungsfall) sowie die Ausweitung auf Personen in laufenden Asylverfahren und staatenlose Personen.
Des weiteren schließen wir uns den Forderungen von sbgg.info an.
4. Bundesaktionsplan
Wir fordern die Fortführung, Durchsetzung und adäquate finanzielle Ausstattung des Aktionsplans der Bundesregierung für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt „Queer leben!“ sowie zur Bekämpfung von struktureller und gesellschaftlicher Queerfeindlichkeit und Diskriminierung.
5. Demokratieförderung
Wir fordern dauerhafte oder zumindest mehrjährige institutionelle Förderungen von Organisationen, die sich für die Belange von queeren Menschen und somit für die Demokratieförderung einsetzen. Die derzeit übliche Form der Projektförderung ist nicht nachhaltig und muss durch Verstetigungen abgelöst werden.
Wir fordern die Einrichtung von kommunalen Ansprechpersonen, die insbesondere marginalisierte Gruppen bei der Beantragung von Förderungen unterstützen und begleiten.
6. Menschenrechte
Wir fordern die Bundes- und Landesregierungen auf, sich für die Einhaltung der Menschenrechte von queeren Personen einzusetzen – in Deutschland und weltweit.
Wir fordern die Einhaltung der Istanbul-Konvention sowie auf deren Grundlage die Anpassung des Gewalthilfegesetzes, so dass dieses trans*, inter und nicht-binäre Identitäten inkludiert statt sie weiterhin auszugrenzen.
7. Menschenrechte vor Wirtschaft
Wirtschaftliche Interessen haben hinter dem Schutz der Menschenrechte und der Umwelt zurückzustehen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, die Innen- und Außenpolitik sowie die Entwicklungszusammenarbeit an der Einhaltung der Menschenrechte auszurichten. Sollten diese staatlich/gesellschaftlich nicht gewährleistet sein, soll die Unterstützung von Nicht-Regierungsorganisationen vor Ort (NGOs) und der Schutz marginalisierter Gruppen im Zentrum stehen.
8. Mediale Repräsentation
Wir fordern eine stärkere und vielfältigere Repräsentation queerer Lebensweisen in den Medien (vor und hinter den Kulissen), sowie die stereotypenarme Darstellung queerer Menschen und anderer marginalisierter Gruppen in der journalistischen Berichterstattung.
Wir fordern eine strukturelle Auseinandersetzung mit false balancing in der medialen Darstellung.
9. Mitbestimmung
Wir fordern die Einbeziehung der queeren Communities bei der Besetzung aller Rundfunkräte, im Ethikrat sowie in weiteren Fachgremien, welche gesellschaftspolitische Prozesse fachlich und kritisch begleiten oder dem Bildungsauftrag des Bundes nachkommen.
10. Ursachen angehen
Diskriminierungskritische Arbeit und marginalisierte Gruppen müssen dauerhaft unterstützt und gefördert werden. Zusätzlich fordern wir, verstärkt auch Projekte zu fördern, die patriarchale Machtstrukturen wie Sexismus, (toxische) Männlichkeiten, Männlichkeitsbilder kritisch bearbeiten.
Dabei sollen bislang marginalisierte Themen wie männliche Verletzlichkeit und Gewalterfahrungen von Männern in den Fokus genommen werden.
11. Erinnerungskultur verankern
Wir fordern die aktive Förderung der Erinnerungskultur (z. B. der HIV-Katastrophe) und die Aufarbeitung von LSBTIQA+-Verfolgung durch Politik, Polizei, Justiz, Religionsgemeinschaften und Gesellschaft (z. B. Kindesentzug bei lesbischen Müttern) sowie deren Verankerung in den schulischen Bildungsplänen.
12. Medizinische Versorgung stärken
Medizinische Behandlungen des geschlechtsangleichenden Maßnahmenspektrums sollen barrierearm für trans Personen und nicht-binäre Menschen verpflichtend von den Krankenkassen übernommen werden.
Wir fordern die medizinische Versorgung von trans, nicht-binären und queeren Menschen insbesondere auch im ländlichen Raum zu stärken. Ebenso fordern wir den Ausbau queerfreundlicher medizinischer Versorgung, wie z. B. in Rehabilitation, Gynäkologie und psychiatrischen Einrichtungen. Entsprechende Fortbildungen müssen ausgebaut und verpflichtend in die Ausbildung integriert werden.
13. Offenbarungsverbot stärken
Wir fordern, das Offenbarungsverbot weiter zu stärken und die unbefugte Informationsweitergabe über zugewiesenes Geschlecht, abgelegten Namen und weitere, die Identität einer Person betreffende Daten, unter Strafe zu stellen.
14. Wahl des Geschlechts auf Dokumenten
Wir fordern die freie Wahl des Geschlechts (auch elektronisch) auf Reisedokumenten (u. a. Reisepass, Flugtickets etc.) um die Reisefreiheit insbesondere von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen zu stärken.
15. Geschlechterinkludierende Sprache
Wir fordern einen geschlechterinkludierenden Umgang mit Sprache, welcher die Vielfalt von Geschlecht berücksichtigt und sichtbar macht.
Wir fordern, die Verbote geschlechterinkludierender Sprache zurückzunehmen, da diese einen unzulässigen Eingriff nach Art. 5 GG (Meinungs-, Wissenschafts- und Pressefreiheit), Art. 3 GG (Diskriminierungsverbot und Gleichstellungspflicht) sowie in die Bildungs- und Wissenschaftsgesetzen der Länder darstellen.
16. Geschlechterinkludierende Formulare
Wir fordern die konsequente Ergänzung von Formularen der Verwaltung um die Personenstände „divers“ und „keine Angabe“ sowie der Anrede-Möglichkeiten „geschlechtsneutrale/keine Anrede“ zusätzlich zu „Herr“ und „Frau“. Wir fordern die Politik auf, Wirtschaft und Gesellschaft in dieser Richtung positiv zu unterstützen.
17. Polizeiliche Statistiken
Wir fordern die gesonderte Ausweisung von queerfeindlicher und transfeindlicher Gewalt in den polizeilichen Statistiken in allen Ländern und auf Bundesebene.
Wir fordern ebenso, die Werte der Online- und Offline- Gewalt getrennt zu benennen.
Des weiteren fordern wir die zusätzliche Erhebung und Veröffentlichung von Anzeigen bzgl. polizeilichem Fehlverhalten.
18. Studien zur Haltung staatlicher Organe
Wir fordern unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen von menschenfeindlichen (insbesondere rassistischen, sexistischen/misogynen, queerfeindlichen und klassistischen) Haltungen in Bundeswehr, Polizei, Justiz und allen weiteren Behörden.
Ebenso fordern wir unabhängige Studien zu „Racial Profiling, Over Policing und Under Protection“ bei der Polizei unter Einbeziehung der Perspektiven und Erfahrungen von BIPoC Personen und weiteren marginalisierten Gruppen.
19. Unabhängige Anlaufstellen
Wir fordern die Einrichtung von unabhängigen Beschwerdestellen zur Meldung von Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen durch Polizei- und andere Behördenbedienstete.
Diese Stelle muss mit einer wirksamen Möglichkeit der Einleitung von Strafverfolgung ausgestattet sein. Wir schließen uns somit der Forderung des Deutschen Institutes für Menschenrechte an.
Ebenso fordern wir den Ausbau von Meldemöglichkeiten polizeilichen Fehlverhaltens innerhalb der Polizei sowie die Förderung einer „Kultur des Hinsehens“.
20. Elternschaft anerkennen
Wir fordern, bereits in der Geburtsurkunde eine barrierearme und sofortige Anerkennung der Elternschaft, unabhängig von Geschlecht und Beziehungsstatus zwischen der gebärenden Person und der weiteren anerkennenden Person(en).
Kinder aus gleichgeschlechtlichen Beziehungen müssen denselben gesetzlichen Schutz erhalten, wie Kinder aus gemischtgeschlechtlichen Beziehungen – das derzeitig notwendige Adoptionsverfahren gefährdet das Kindswohl.
Ebenso fordern wir, das Adoptions- und Stiefkindadoptionsverfahren zu vereinfachen.
21. Abstammungsrecht reformieren
Wir fordern die zeitnahe Reform des Abstammungsrechtes, so dass trans Personen nicht mehr mit ihrem nach der Geburt zugewiesenen Geschlecht und ihrem abgelegten Namen in die Geburtsurkunde ihres leiblichen Kindes eingetragen werden. Dies beinhaltet zudem die Forderung nach einer grundsätzlichen Eintragung der Eltern als „Elternteile“.
22. Verantwortungsgemeinschaften
Wir fordern über die Ehe hinaus die rechtliche Anerkennung von Verantwortungsgemeinschaften von zwei und mehr Personen sowie der Elternschaft von mehr als zwei Personen.
23. Genitale Selbstbestimmung
Wir fordern die Garantie der körperlichen Unversehrtheit aller nicht-zustimmungsfähigen Personen unabhängig von der Form ihrer Genitalien und ihrem nach der Geburt zugewiesenen Geschlecht. Eingriffe an den Genitalien dürfen ausschließlich aus schwerwiegenden medizinischen Gründen erfolgen und müssen nachhaltig und zentral dokumentiert werden. Die Dokumente sind der betroffenen Person auf Verlangen auszuhändigen und die Möglichkeit der verjährungsfreien Klage muss gewährleistet sein.
24. Sexualisierte Gewalt benennen
Wir fordern die Bundesregierung auf, geschlechterübergreifend aktiv gegen sexualisierte Gewalt vorzugehen. Dies umfasst insbesondere die Ausweisung in Statistiken, Beauftragung von Studien, Ausbau und Verstetigung von Beratungsstellen und Präventionsangeboten sowie die Aufnahme in Bildungs-, Lehr- und Ausbildungspläne.
25. Bildungspolitik
Wir fordern eine aktive und wertschätzende Aufklärungs- und Bildungspolitik sowie die Verankerung der Themen “Vielfalt von romantischer und sexueller Orientierung und Geschlecht” als verpflichtenden Bestandteil der Lehr- bzw. Bildungspläne (Kita und Schule) in allen Bundesländern.
Analog fordern wir die verpflichtende Aufnahme in die Lehrpläne der Aus- und Weiterbildung für den Bereich von Schule und Kita, insbesondere von Erzieher*innen, Lehramtstudierenden (Grund- und Förderschule bis Sekundarstufe II sowie Berufsschulen) und mindestens in die Studiengänge der Sozialpädagogik/Sozialen Arbeit.
26. Diskriminierungsarme Arbeit
Wir fordern Arbeitgeber*innen auf, sämtlichen Diskriminierungsformen am Arbeitsplatz aktiv entgegenzuwirken und das Bewusstsein für die Vielfalt von romantischer/sexueller Orientierung und Geschlecht im Arbeitsumfeld zu fördern.
Ebenso fordern wir die Auflösung struktureller Benachteiligungen im Arbeitsleben wie z. B. dem gender pay gap, „gläsernen Decken“ und anderen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, in geeigneter Weise auf die Unternehmen einzuwirken.
27. Fortbildungen
Wir fordern die Verbesserung der Fortbildungsmöglichkeiten zur Bekämpfung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Wir fordern die Politik auf, Wirtschaft und Gesellschaft, Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen der Kinder- und Jugendfürsorge, Berufe der medizinischen Versorgung und Pflege, der Bildungsarbeit sowie Führungskräfte zur regelmäßigen Teilnahme an entsprechenden Fortbildungen zu ermutigen.
Wir fordern die Bundesregierung entsprechende Fortbildungen in Justiz, Polizeibehörden, Bundeswehr und Verwaltung als verpflichtende Weiterbildung festzuschreiben.
28. Diversität am Arbeitsmarkt
Wir fordern die Bundesregierung auf, Arbeitgeber*innen zu ermutigen, bei der Besetzung von Stellen auf eine möglichst große Diversität zu achten.
29. Respekt für Ältere
Wir fordern die Einbeziehung von älteren queeren Personen in politische Interessenvertretungen sicherzustellen, ihre besonderen Bedürfnissen und Bedarfen in Betreuung und Pflege Rechnung zu tragen sowie spezielle Wohnformen für ältere LSBTIQA+-Personen zu fördern.
30. Geflüchtete schützen
Wir fordern eine menschenwürdige Behandlung und sichere Unterbringung von LSBTIQA+-Geflüchteten sowie eine bedarfsgerechte Finanzierung von Beratungs-, Wohn- und Hilfsangeboten.
Wir fordern die Einhaltung der Menschenrechte auch für Geflüchtete in Asylunterkünften. Dies betrifft insbesondere das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung.
Das Grundrecht auf Asyl darf nicht angetastet werden!
31. Sichere Herkunftsländer
Wir fordern bei der Einstufung als „sicheres Herkunftsland“ die rechtliche und gesellschaftliche Verfolgungslage von LSBTIQA+ Personen maßgeblich mit einzubeziehen. Wir verweisen auf das Bundesverfassungsgericht, das schon 1996 als Bedingung für eine Einstufung als „sicheres Herkunftsland“ festlegte, dass in ihm „Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen“ muss.
Wir fordern eine Überprüfung aller als „sicher“ eingestuften Länder unter diesem Aspekt.
32. Jugendarbeit ländlicher Raum
Wir fordern, die Mittel der Jugendarbeit für LSBTIQA+-Personen, insbesondere im ländlichen Raum, stetig den Erfordernissen anzupassen.
33. Schutz vor religiöser Diskriminierung
Wir fordern eine konsequente Verfolgung und Sanktionierung religiös motivierter Menschenfeindlichkeit und struktureller Diskriminierung. Wir fordern die Abschaffung von Sonderrechten im Arbeitsrecht für Kirchen und Glaubensgemeinschaften, die diesen den Ausschluss von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihres Geschlechts, ihres Beziehungsstatus oder anderer privater Merkmale ermöglicht.
In diesem Zusammenhang fordern wir die Umsetzung der grundgesetzlichen Forderung nach einer Beendigung der Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften.
34. Verbot von Konversionsversuchen
Wir fordern das Verbot sogenannter „Konversionsversuche“ auch bei Erwachsenen.
Dieses Verbot muss in den Berufsordnungen (z. B. Psychotherapeut*innen, Seelsorger*innen) verankert werden.